Zu Besuch im Lichtaktiv-Haus

Auch bestehende Immobilien können das Zeug zum Plusenergiehaus haben: In Hamburg wurde ein Siedlungshaus aus den 50er-Jahren saniert und durch moderne Lichtarchitektur und Solartechnik zum Vorzeigemodell. Familie Oldendorf lebt dort seit 16 Monaten. Wir haben sie besucht.

Wer ist schon gern Durchschnitt? Ein Max Mustermann als Gradmesser für das vielgescholtene Mittelmaß? – Christian Oldendorf will genau das sein. Der Bildredakteur aus Hamburg hatte sich mit seiner Frau und den beiden Kindern bewusst als Durchschnittsfamilie bei einem aufwendigen Casting für das Wohnprojekt beworben. Heute leben die Oldendorfs als Testpersonen in einem ehemaligen Siedlungshaus. Es wurde entkernt und im Rahmen des Model-Home-2020-Projekts der Dachfensterfirma Velux zum modernen Plusenergiehaus saniert.

Seit 16 Monaten bewohnen die Oldendorfs das modernisierte Lichtaktiv-Haus im Stadtteil Wilhelmsburg, das im Rahmen der aktuellen Internationalen Bauausstellung (IBA) präsentiert wird. „Uns hat die Vorstellung gereizt, die Zukunft energiebewussten Lebens mitzugestalten. Und obendrein und ganz profan: Energiekosten zu sparen“, erklärt der 40-Jährige seine Beweggründe. Und so haben sie das urbane Leben im Hamburger Szeneviertel Ottensen im Dezember 2011 eingetauscht gegen das eher beschauliche Vorstadtviertel im traditionellen Siedlergebiet.

Ihre Energiespar-Intention deckte sich mit dem Projektziel, „CO2-Neutralität im Betrieb zu erreichen“, also den gesamten Bedarf des Hauses durch erneuerbare Energien zu decken. Damit griff die Entwurfspla- nung für die Modernisierung den Siedlergedanken in der Hamburger Vorstadt auf: Während ursprünglich selbstgezogenes Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten die Bewoh- ner ernähren sollte, wird nun die Energieautarkie angestrebt.

„Am Anfang hat uns auch das Abenteuer gereizt“, erklärt Irina Oldendorf. „Aber dann haben wir gemerkt, wie viel mehr Raum wir hier fürs Familienleben haben und wie angenehm es ist, keine Energiekosten mehr zahlen zu müssen.“ In ihrer früheren, gerade mal 73 Quadratmeter „großen“ Altbauwohnung fielen dafür 150 Euro monatlich an – in dem weißen, rund doppelt so großen Haus auf der Elbinsel sind es fast null Euro. Das Grundprinzip in dem umgebauten Siedlerhaus ist einfach: Benötigte Energie wird dort vollständig durch Photovoltaik erzeugt. Und die ausgefeilte Architektur automatisierter Fenster sorgt für helle Behaglichkeit und immer frische Luft.


„Es ist schon spannend, real zu sehen, wie viel Energie gewonnen wird und wie wenig wir verbrauchen“, sagt Christian. Jeden Tag schaue er auf die Displays. „Man bekommt wirklich ein Gefühl für seinen Energieverbrauch.“ In farbigen Diagrammen und Tabellen des Monitoringberichts der TU Braunschweig und der Hafencity-Universität Hamburg hat er stets vor Augen, was abläuft. Die Wissenschaftler dieser Hochschulen messen kontinuierlich den Energieverbrauch sowie das Innenraumklima und dokumentieren die Ergebnisse. Sie prüfen, ob alle Ventile der Fußbodenheizung optimal arbeiten, wie lange die Familie per Hand lüftet oder wie oft das Lüftungssystem für Luftzufuhr sorgt.

Christian und Irina Oldendorf setzen bei ihren Ansprüchen an eine optimale Wohnsituation auch auf Familienfreundlichkeit. Ihre beiden Söhnen Lasse (9) und Finn (7) geben dem Projekt schon jetzt allerbeste Noten. Beide haben nun ein eigenes Zimmer, genießen den Platz, spielen einfach zu gern im offenen Küchenbereich oder toben draußen im Garten. Da das Erdgeschoss komplett barrierefrei ist, sind kleine Tobereien auch dort gefahrlos.

Irina empfindet das „schöne Lebensgefühl“ im Haus als ganz wesentlich. Die Raumaufteilung sei gerade mit kleinenKindernideal.„Mir ist die offene Küche sehr wichtig; als Mutter bin ich dadurch immer mittendrin“, beschreibt sie die Situation im großzügig angelegten Neubautrakt. „Besonders schön: jetzt im Sommer einfach die großen Schiebetüren zu öffnen und den Garten hereinzuholen!“

Der rechtwinklig an den Altbau angestellte Erweiterungsriegel ersetzt einen alten, kleineren Anbau und bietet nun Platz für Wohn- und Esszimmer, Küche und Technikraum. Ein gläserner Windfang verbindet diesen Neu- mit dem Altbau und dient gleichzeitig als Hauseingang und Übergang in den Garten. Im alten Gebäude wurde die kleinteilige Zimmerstruktur aufgelöst. So sind großzügige, lichtdurchflutete Räume entstanden.

Neben zwei Kinderzimmern und zwei Bädern befindet sich auch das Schlafzimmer im Altbau. Gleichzeitig öffnet sich das neue offene Treppenhaus mit einer Fensterfront von fünf Metern Länge zum Garten hin. Diese so genannte Tageslichtlampe erweitert als zentraler Lebensbereich den Raum bis ins Dach und sorgt für die optimale Versorgung mit natürlichem Licht. Insgesamt wurde die Fensterfläche im „Lichtaktiv-Haus“ von ursprünglich 18 auf nun 93 Quadratmeter erhöht. „Das Mehr an Licht ist fantastisch“, bestätigt Irina Oldendorf den gewünschten Effekt.


Natürlich besticht das von Velux-Fenstern geprägte Haus auf den ersten Blick durch diese großflächigen Glasfassaden. Sie sind architektonisches Gestaltungselement und Wetterschutz zugleich. Die Außenwände der Süd- und Nordfassade wurden mit Glas verkleidet. Zugleich gewährleisten vom Boden bis zur Decke reichende Fenster und großflächige Dachfenster ein optimales Zusammenspiel von Lichteinfall, passiven solaren Wärmegewinnen und sommerlichem Wärmeschutz. Die Giebelseiten bleiben weitgehend geschlossen. In der aus energetischen Gründen luftdichten Bausubstanz des Hauses gewährleisten sich automatisch öffnende Dachfenster den notwendigen Mindestluftwechsel.

Bei der Velux-Modell-Modernisierung öffnet und schließt ein System von Sensoren die Fenster je nach Temperatur, CO2-Konzentration, flüchtigen organische Verbindungen (VOC) und Luftfeuchtigkeit im Gebäude automatisch so, dass ein angenehmes, gesundes Raumklima gewährleistet ist. Der Luftwechsel erfolgt dabei natürlich: Der Winddruck auf das Gebäude und der Temperaturunterschied zwischen innen und außen gewährleisten bei geöffneten Fenstern die Belüftung.

Besonders effektiv ist die Frischluftzufuhr, wenn sich synchron mehrere Fassaden- und Dachfenster öffnen. Die unterschiedliche Höhe der Fenster verstärkt den Effekt des Temperaturunterschieds und ermöglicht einen Kamineffekt: Verbrauchte Luft steigt nach oben und zieht durch das Dachfenster ab, während unten kühlere, frische Luft nachströmt. So wirkt das gesamte System von Rollläden, Sonnenschutzelementen und Fenstern wie eine natürliche Klimaanlage. Irina Oldendorf empfindet es als besonders angenehm, „dass meist ein laues Lüftchen durchs Haus geht“. Einzig das Öffnen der Riegel an den Fenstern sei nachts ziemlich laut und störe. „Aber das können wir ja jederzeit ausschalten, dann geht das schon.“

DieTestfamilie stellt das Haus auch in Sachen Wohntauglichkeit auf die Probe. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung wird ihr Wohn- und Wohlfühlempfinden dokumentiert. Ein Forscherteam aus Architekten und Soziologen sowie Gebäude- und Solartechnikern der Technischen Universitäten Braunschweig und Darmstadt sowie der Humboldt-Universität zu Berlin werten die Daten am Ende aus. „Es kann eben nicht darum gehen, ein Haus energetisch optimal zu sanieren oder zu bauen, in dem die Bewohner dann aber das Gefühl haben, Fremdkörper zu sein. Wohnwert schlägt Energiewert!“, beschreibt Christian Oldendorf in seinem Blog die Ansprüche an das Leben im Haus.

Die Erfahrungen und Wünsche der Testfamilie sind wesentlich für die Bewertung des Projekts. In einem Punkt haben die Oldendorfs das gesamte Vorhaben elementar beeinflusst: „Wir haben vorgeschlagen, dass zu unserem Leben hier idealerweise ein E-Mobil gehört“, erinnert sich Christian Oldendorf. Peugeot machte mit und so fahren Irina und Christian seit einigen Monaten mit dem Kleinwagen täglich zur Arbeit auf die andere Seite der Stadt. „Der Wagen hat uns noch nie im Stich gelassen“, sagt Irina. „Auch wenn wir an kalten Tagen ab und zu auf die Heizung verzichten mussten, weil sonst der Strom knapp geworden wäre.“

Die Idee zu dem Verbund mit einem E-Mobil, das auch vom selbst erzeugten Strom gespeist wird, hatten die Oldendorfs durch die Gespräche mit anderen Testfamilien aus Plusenergiehäusern, bei denen das Auto von vornherein dazu gehörte. Sie trafen sich Ende 2012 zu einem Workshop, zu dem das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung “>BMVBS nach Berlin eingeladen hatte. Das Ministerium hat ein Förderprogramm für Modellhäuser aufgelegt, die den sogenannten „Effizienzhaus Plus Standard“ erfüllen. Gegenwärtig nehmen elf Projekte an dem Netzwerk und an einem Monitoring des BMVBS teil.


Es wurde diskutiert und Erfahrungen mit Lüftungsanlagen, Photovoltaik, Wärmepumpen und Elektromobilität ausgetauscht. Es zeigte sich beispielsweise, dass die Vor- und Nachteile einer Lüftungsanlage im Vergleich zur herkömmlichen Fensterlüftung recht unterschiedlich wahrgenommen werden. Sie sei effizient, leicht zu bedienen und könne eine konstante Raumtemperatur sicherstellen – auf der anderen Seite jedoch ein Gefühl der Abschottung zur Außenwelt erzeugen sowie den Frischluftschub einer Fensterlüftung nicht ersetzen.

Weiterhin wurde deutlich, dass die Art der Erzeugung der von den Bewohnern benötigten Energie – sei es mit einer Photovoltaikanlage, mit Solarthermie oder mit Wärmepumpen – keinen Einfluss auf die Wohnqualität hat. „Bedenken im Vorfeld, ob das Haus ausreichend Energie erzeugen könne, waren unbegründet“, beschreibt Christian Oldendorf in seinem Blog das Fazit der Familien.

Die Oldendorfs sind jedenfalls so begeistert von ihrem neuen Heim, dass „wir nicht mehr ausziehen möchten“. Sie überlegen, das Hauses zu erwerben. Auch in der Nachbarschaft wollten jetzt Hausbesitzer Photovoltaik und Lichtarchitektur ebenfalls umsetzen. Nicht erst seit dem Workshop mit den anderen Testfamilien steht für die Oldendorfs fest, dass sie weiterhin für die Forschung wohnen und für das Monitoring zur Verfügung stehen werden. Christian Oldendorf lacht und sagt: „Schließlich sind wir die perfekte Durchschnittsfamilie!“

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