Plusenergie: Neue Häuser braucht das Land

Herr Bomba, Sie haben sich als Staatssekretär mit Ihrem Leitprojekt „Mein Haus – mein Kraftwerk, meine Tankstelle“ die Messlatte so hoch gelegt wie keiner Ihrer Vorgänger. Wie weit sind Sie?

Bomba: Es ist bewiesen, dass es geht. Ein modernes Einfamilienhaus kann heute tatsächlich so viel Energie produzieren, dass sich mit den Überschüssen Elektroautos das ganze Jahr über „betanken“ lassen. Das „Effizienzhaus Plus“ ist als neuer Baustandard definiert. Unser Ministerium hat als Ergebnis eines Wettbewerbs selbst ein „EffizienzPlus“-Forschungshaus in Berlin errichtet. Es wird derzeit noch von einer Familie 15 Monate lang – wissenschaftlich begleitet – probebewohnt. Dass sie zusätzlich regelmäßig einen neuen Elektro-Pkw zum Ausprobieren bekommt, ist mehr als ein angenehmer Nebeneffekt.

Das ganze Projekt hat hierzulande, aber auch international für Aufsehen gesorgt. Wir haben Anfragen aus buchstäblich aller Welt, von Skandinavien bis Afrika und Fernost. Wie wir künftig komfortabel wohnen und zugleich unsere Mobilitäts- und unsere Energieprobleme auf innovative Art lösen können – meines Wissens hat derzeit keiner eine bessere Idee, ein stärkeres Konzept als wir Deutschen. Da bin ich schon stolz darauf.

Inzwischen haben wir ein ganzes Forschungs-Netzwerk “Effizienzhaus Plus” installiert. Mit Fördermitteln unterstützt haben dessen Mitglieder 35 Plusenergiehäuser gebaut. Sie werden vom Fraunhofer-Institut in einem Monitoring permanent überprüft.

So rundum zufrieden wirken Sie trotzdem nicht.

Bomba: Für meinen Geschmack wird zu oft zu kurz gedacht. Bisher standen die Gebäudehülle, die Außenwanddämmung zu dominant im Fokus. Das reicht natürlich für einen Durchbruch zu neuen Dimensionen nicht.

Thomas Sapper: Mit den derzeit verfügbaren technischen Möglichkeiten ganz bestimmt nicht. Die Potenziale der klassichen Dämmung sind ausgeschöpft. Die ab 2014 geltende neue Fassung der Energieeinspar-Verordnung ist noch von der alten Denkart: Sie schreibt für Neubauten weiter abgesenkte Energieverbräuche und verschärfte Dämmung vor.

Bomba: Dass das „Effizienzhaus Plus“ den kommenden Baustandard beschreibt, ist für mich gesetzt. Da wir damit aber erst in den Anfängen sind, sind das erst mal nur die kleinen Schritte. So sind für 2014 und 2016 jeweils eine Reduzierung des zulässigen Jahres-Primärenergiebedarfs bei Neubauten um jeweils 12,5 Prozent vorgesehen. Der Wärmedurchgangskoeffizient der Gebäudehülle ist um durchschnittlich zehn Prozent zu reduzieren.

Sapper: Auf drei Jahre gerechnet also eine Absenkung für Neubauten um 25 Prozent. Für Fertighäuser keine Herausforderung. „Effizienzhaus 55“ ist für unsere Bauherren jetzt schon Vertragsstandard. Anders gesagt: 45 Prozent besser als die derzeitige EnEV, und das im Festpreis inklusive.

Plusenergiehaus-Niveau ist aber sehr wohl eine Herausforderung. Wie sich zeigt, müssen das auch die führenden Fertighausanbieter erst mal beweisen.

Sapper: Glauben Sie mir, moderne Fertighäuser auf Plusenergiestand hochzurüsten ist heute kein großes Ding mehr. Bei dem exzellenten Dämm- und Dichtheitsniveau unserer Gebäudehüllen reduziert sich das auf die Frage nach der Dimensionierung der Zusatztechnik wie Solarmodule und Energiespeicher.

Bomba: Ich mag das Wort „alternativlos“ nicht, weil es jedes weitere Nachdenken diktatorisch ausschließt. Hier träfe es zu. Die Gebäude der neuen Generation müssen ihre Energieüberschüsse selbst erwirtschaften. Mit welchen technischen Mitteln sie das tun können, ist eine ganz andere Frage. Wir dürfen hier ja nicht nur an Einfamilienhäuser und Neubauten denken, sondern auch an die 18,5 Millionen Wohngebäude im Bestand.

Energiewende kann nicht bedeuten, dass ein älteres Hausbesitzerpaar einen Kredit aufnehmen muss, um einmal im Jahr seine Heiztanks füllen zu können. Das will ich unbedingt verhindern. Bei allem Modernisierungswillen: Es ist keine wirkliche Lösung, Althäuser mit 25 Zentimeter Styropor zu ummanteln.

Sapper: Styropor hat sich aus Kostengründen als Königsweg einer schnellen und billigen nachträglichen Außendämmung alter Massivhäuser etablieren können. Schimmelprobleme innen und Algenbewuchs außen sind deutliche Signale, dass es aber so nicht geht. Und der Aufwand von fünf Litern Rohöl für ein Kilogramm Styropor bleibt irre. Bei einem einzigen größeren Wohnblock kommen schnell einige Hundert Kubikmeter zusammen. Genau genommen Sondermüll. Brandschutztechnisch hoch riskant.

Bomba: Ich war 20 Jahre bei der Freiwilligen Feuerwehr in meinem hessischen Heimatort, kenne das Thema also auch aus dieser Perspektive. Wir haben mit den Kollegen aus den Bundesländern sämtliche neueren Styropor-Brandfälle analysiert. Fakt ist: All diese Brände betrafen entweder Rohbauten oder nicht fachgerecht ausgeführte Dämmarbeiten. Das Dämmmaterial lag offen, nicht geschützt hinter Mineralputz und auch nicht nach unten verkapselt. Styropor als Dämmkern eines fachgerecht ausgeführten Verbundsystems ist brandschutztechnisch keineswegs gefährlich. Es löst aber unsere energetischen Probleme nicht, da gebe ich Ihnen Recht.

Sapper: Es gibt derzeit leider auch so gut wie keine wirtschaftlichen Alternativen. Vakuum-Dämmpanele mögen im Labor funktionieren. Sie kosten aber 300 Euro je Quadratmeter. Und sind technisch sehr anfällig. Wenn schon eine Stecknadel das Ganze wirkungslos machen kann, kann ich sie nicht gebrauchen.

Ist die mehr oder weniger unter der Oberfläche schwelende Energiekrise der große Knüppel, der uns jetzt alle Ignoranz, Denkfaulheit und halbherzigen Pseudo-Lösungen radikal austreibt?

Bomba: Zugespitzt formuliert, aber sachlich richtig. Unsere überkommenen Energiestrukturen haben sich verbraucht. Egal, ob fossil oder atomar befeuert. Das derzeit schön geschriebene Fracking mag den Verfallsprozess ein wenig aufhalten – es bleibt Resteverwertung. Ob unsere Energie in großen Kohle- oder Atomkraftwerken oder Riesen-Windparks auf See produziert wird – es bleibt überholte zentralisierte Großproduktion mit all ihren teuren Folgeproblemen. Je länger ich mich damit beschäftige, wird mir als Ingenieur und Volkswirt die Idee immer sympathischer, die nötige Energie unmittelbar dort zu produzieren, wo sie gebraucht wird.

Ein „Effizienzhaus Plus“, das alle technischen Möglichkeiten kombiniert – Solarstrom, Windenergie, Geothermie, innovative Speichersysteme, intelligentes Gebäudemanagement – erreicht schon den Faktor 2,5 bis 3. Es erzeugt also zweieinhalb- bis dreimal so viel Energie, wie seine Bewohner brauchen.

Da entstehen energetisch autarke Einheiten, lokale Energielieferanten, die sogar Nachbargebäude mit nicht so guter Energieklasse mitversorgen könnten. Wenn das aber geht – wozu brauchen wir dann die alten Monopol-Strukturen?

Sapper: Ihr Herangehen gefällt mir. Wir müssen den Mut aufbringen, die Fragen an das Produkt Haus neu zu stellen. Statt des sofort einschränkenden Satzes „Was ist heute technisch und wirtschaftlich maximal möglich?“ sollten wir fragen: „Was muss ein modernes Wohnhaus haben und leisten, um den Bedürfnissen seiner Bewohner künftig gerecht zu werden?“ Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Bauherren andere Wert- und Qualitätsansprüche an ihr Haus entwickeln. Beispiel: Wie sympathisch sind seine Räume? Wie flexibel lassen sie sich für verschiedene familiäre Situationen nutzen? Wie nachhaltig wurden sie erbaut?

Wobei wir nachhaltiges Bauen aus seiner ökologischen Begrenztheit herausholen müssen. Es geht sowohl um bezahlbares Wohnen, als auch um nachhaltige Ökonomie. Und um soziale Nachhaltigkeit. Da wissen wir noch sehr wenig. Nur, dass mehr dazugehört als Barrierefreiheit oder das Miteinander verschiedener Generationen. Natürlich beschäftigt mich als Vorstandsvorsitzender der DFH, wie viele und welche Häuser wir in diesem und in den nächsten fünf Jahren bauen werden. Für die neue Gebäudegeneration brauchen wir einen größeren Zeithorizont.

Bomba: Nehmen Sie 2050. Wofür weniger Visionen imaginärer Gebäude einer fernen Zukunft gefragt sind, als ein unverzüglich anzugehender realistischer Arbeitsplan. Zum Zaudern und Zögern ist keine Zeit mehr. Die Uhr läuft.

Was haben Sie aktuell auf der Werkbank, was steht an?

Bomba: Neben dem Monitoring der 35 neuen “EffizienzhausPlus”-Gebäude, ein Forschungsprojekt in Neu-Ulm zur Modernisierung von zweimal 18 Wohneinheiten aus dem Bestand auf “EffizienzhausPlus”-Niveau. In Frankfurt und Bad Vilbel geht es um “EffizienzhausPlus“-Forschungsbauten mit bis zu 70 Wohneinheiten. Der nächste große Schritt ist, das neue energetische Niveau in nachhaltiger Bauweise zu erreichen.

Sapper: Wir haben in der DFH derzeit drei große Zukunftsprojekte: Erstens das nachhaltig gebaute Plusenergie-Einfamilienhaus, das wir bis zum Sommer dieses Jahres mit Professor Hegger von der TU Darmstadt entwickeln. Zweitens wollen wir gemeinsam mit der FH Aachen herausfinden, ob es tatsächlich lohnt, alte Wohngebäude energetisch zu modernisieren oder ob Abriss und anschließender Neubau die wirtschaftlichere und nachhaltigere Lösung ist. Drittens planen wir gemeinsam mit einigen Hunsrück-Gemeinden und ihrer von Windrädern gespeisten Finanzkraft neue Wohnquartiere als dezentrale Energieproduzenten in nachhaltig gebauten Häusern mit Wind- und Solarstrom, gemeinsamen Energiespeichern und Kleinstkraftwerken, intelligentem Gebäude- und Quartiermanagement.

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